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Der Baum, der Zeuge

Ein satt grüner Teppich zog sich den Hügel hoch. Zart streichelnd fuhr der Wind zwischen den langen Grashalmen hindurch, welche sich müde nach unten bogen. Oben schlängelte sich ein Fahrradweg an einer Weide entlang. Das Grau, nur ein hauchdünner Faden, verbarg es sich schon nach wenigen Metern hinter der gedeienden Natur und wurde für das Auge unsichbar.
Ein einzelner knorriger Baum wachte windschief am Wegesrand. Seine alten Äste ragten wie greifende Hände über eine Bank. Nur wenige Blätter zierten den Zeugen längst vergangener Tage und ließ den Griff noch gieriger erscheinen.
Das Holz von der Witterung rau, hatte die Bank ihre schönsten Tage bereits hinter sich. Wie ein altes Paar schwiegen Bank und Baum selig, lauschten dem Wind, sonnten sich in den letzten Strahlen des Tages. Alt waren sie. Und nichts hatte sie jemals getrennt. Viele Sommer standen sie hier und genau so viele Winter hatten sie gemeinsam überstanden. Doch die Zeit hatte ihre Spuren an ihnen hinterlassen. Die Rinde des Baumes war rissig geworden. Zeichen waren in sie geritzt. Tief waren die Spuren, doch die Schrift war kaum noch zu lesen. Zwei Buchstaben waren es, umrahmt von einer seltsam geschwungenen Linie.
Der dünne, schon etwas länger gezogener Schatten des Baumes fiel nach hinten auf die Weide und ließ den Mann auf der Bank unberührt. In dessen Hand ruhte eine Blume. Eine einzelne nur, und obwohl die Farbe der Blume noch hell leuchtete, wirkte sie genau so wächsern, wie die Haut des Mannes, welcher sie mit seinen dürren und schwachen Fingern hielt.
Auch er war alt – der Mann. Fast so alt wie der Baum hinter ihm. Und auch er trug die Spuren eines langen Lebens. Und nun saß er da, scheinbar friedlich. So wie so oft in den letzten Jahren. Und immer seine Blume in der Hand. Eine Tulpe war es. Rötlich-gelb leuchtete sie, doch aus einem unerklärlichen Grund hatte sie vergessen zu welken. Nur trocken war sie gewurden und leistete dem Alten treu Gesellschaft. Seine Frau hatte diese Blume immer gemocht. Nicht rote Rosen wie andere, nein, diese stacheligen Verführerinnen waren ihr unangenehm. Eine Tulpe aber hatte etwas zartes an sich.
Und diese eine, diese nicht welkende, war übrig geblieben von dem letzten Strauß den der Mann ihr geschenkt hatte. Alle waren sie verwelkt, nur diese eine nicht. Und sie blieb bei ihm, nun da seine Frau es nicht mehr konnte.
Er hatte sie geliebt, er liebte sie immer noch. Dies hier war ihr Platz gewesen. Viele Sommertage hatten sie hier verbracht. Bis vor fünf Jahre noch, der Baum ihr Zeuge. Und nun waren sie alle alt. Und sie hatten nur noch sich. Der Baum die Bank, der Mann die Blume in der Hand.
Seit damals, dem Tag als sie starb, war er immer hier her gekommen, wenn er ihr nah sein wollte. Die Blume stets in der Hand, saß er dort und betrachtete den feurigen Sonnenuntergang. So wie seine Frau ihn stets in seinen Armen genossen hatte.
Auf dem Friedhof hatte er sie noch nie besucht. Denn dafür hätte sie tot sein müssen, und das war sie nicht. Nicht solange er noch lebte. Und das tat auch sie, tief in seinem Herzen, dort wo die Zeit ihr nichts anhaben konnte. Nur ihr Körper war nicht mehr. Er vermisste ihre Wärme, nur die Blume war geblieben. Und an diesen langen Nachmittagen trank er an ihrem Anblick die Liebe seiner Frau, wie aus einem Kelch. Hier konnte er ihr nah sein, von der schwächer werdenden Abendsonne gewärmt.
Wieder einmal kroch die Sonne rot glühend und schläfrig unter den Horizont, auf der anderen Seite des Tals, hinter einem fernen Hügel. Der Mann auf der Bank hatte die Augen geschlossen. Kaum merklich hob das friedliche Atmen seine Brust. Diese Besuche waren alles was er noch hatte. Und oft schlief er ein, geküsst von der Erinnerung, und umarmt von der Liebe, die niemals erlosch. Selig waren diese Momente, kostbarer als alles andere. Der Baum, ihr Zeuge, ein treuer Freund im Rücken.
Langsam entwand sich die Sonne dieser Welt. Nach und nach verschmolzen die langen Schatten und die Farben verblassten zu grauen Konturen, während die Sterne mit ihrem kühlen Licht auftauchten.
Als der Mond aufging, eine dünne Sichel, und das Land in silbriges Licht tauchte, saß der Mann immer noch auf der Bank. Der Wind kaum noch spürbar, wehte die letzte Wärme aus dem Tal empor.
Dann sank der Kopf des Mannes nach vorn, ganz so als schliefe er. Und nun würde er seine Frau doch auf dem Friedhof besuchen. Seine Blume in der Hand, und nie wieder von ihr gehen.

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